Seine frühen Erfahrungen mit den Versprechungen des Kapitalismus hatte er bereits als Kind. Ziemlich genau erinnert er sich an diesen einen Joghurt.

Eigentlich war nichts besonderes daran, einfach ein Joghurt, einfach in einem Glas mit Deckel, einfacher, ganz normaler Naturjoghurt, so wie ihn zwanzig verschiedenen Firmen anbieten. Eigentlich unterschied ihn nichts von den anderen. Wäre da nicht dieser kleine Schriftzug gewesen, ziemlich klein, am Deckelrand neben dem Mindesthaltbarkeitsdatum. Ein Versprechen war dort formuliert: ‚Knackt beim ersten Öffnen‘. Und dieses Versprechen, dieser Knack, der führte zu seiner Begeisterung für diesen Joghurt. Er wollte ihn immer wieder haben, denn die Firma log ihn nicht an: Jedes Mal, wenn er eines dieser Gläser zum ersten Mal öffnete, knackte es. Es knackte auch bei anderen Joghurtsorten der Marke. Deswegen wollte er diesen. Ob er anders schmeckte, konnte er gar nicht sagen, weil er sich nur auf dieses eine Produkt konzentrierte.

Bis er irgendwann mit seinem Vater im Laden stand und der Joghurt leer war. Sein Vater griff gleichgültig nach dem nebenstehenden Konkurrenzprodukt, und er musste weinen. Weil der Genuss nicht der selbe sein würde. Weil Genuss ohne Knack nicht möglich war. So stand er weinend vor dem Kühlregal und sein Vater verstand nicht, warum. Er versuchte sich zu erklären: „Aber der knackt gar nicht…“, und sein Vater meinte nur routiniert: „Also, ja doch, auch dieses Glas knackt.“ Und er sah sich das Glas an und sagte: „Aber das steht da gar nicht drauf!“ und sein Vater lachte. Grinste, lachte und meinte, dass da halt Physik und so etwas sei und irgendetwas mit Marketing und Haltbarkeit und dass das mit diesem Vakuum halt überall gleich sei und so weiter. Er verstand davon nichts. Warum, wenn ein Joghurt schon knackt, schreibt man das nicht drauf? Diese Frage ließ ihn bis heute nicht los.

(2023)