Stille.

Absolut ominpräsent ist ja grad die Stille. Bei „Ohne K(uns)t wird’s still“ und „#SangUndKlanglos.“

Die Jenaer Philharmonie hätte sich nächstes Wochenende bei einem der Thementage „Der Klang von Jena“ der Stille gewidmet. Angekündigt war natürlich auch 4:33. Wie passend in dieser Zeit, in der offenbar alles anders ist, etwas stiller natürlich, vielleicht auch etwas langsamer. Zumindest könnte man so auch „As slow as possible“ in der Ankündigung begründen, vielleicht sollte aber auch nur nochmehr Cage eingebracht werden, immerhin heißt eine Cage-Biografie „Tosende Stille.“ Diese Stille wird zu einem Zustand, der ganze Branchen bedroht. Beinahe kann man sie tatsächlich mal toben fühlen. Die Stille als schlechtes Szenario: „Oh du stille Zeit, kommst eh wir’s gedacht.“ wenn man das Stück mal so umdrehen darf. Es gibt viele, verdammt viele Lieder und Songs – vom Volkslied bis zum Rap – die sich mit der Stille und dem „Sound of Silence“ beschäftigen. Wie kann Stille in Musik transportiert werden? Warum ist die Stille überhaupt ein Thema in der Musik? Und was genau ist Stille überhaupt? Zu all diesen Fragen wird man keine einheitliche kulturtheoretische Antwort bekommen. Kulturpraktisch aber schon: sie bedeutet Stillstand. Also fehlende Veranstaltungen, daher fehlende Einnahmen und ungewisse Zukunftsplanung.

„Ohne K(uns)t wirds still“ sugeriert ja, dass plötzlich alles weg sei – das ist zum Glück nicht der Fall. In Radios und auf Handys laufen die Spotify-Playlisten (Bah!) hoch und runter. Im besten Falle verdient dadurch ein Musiker sogar Geld. Was Mensch davon hat? Das kann nur jeder individuell sehen – es soll ja Leute geben, die kein sonderliches Interesse an Musik haben. Allgemeingültigkeit ist hier, wie so oft, nichts was irgendwie erreicht werden kann. Nicht nur die Konsumenten, auch die Künstler und die Medien, derer sich die Künstler bedienen, haben hier alle ihre Eigenheiten.
All das erinnert mich auch an meine Eignungsprüfung für die Bauhaus-Uni: „Wie kann man Stille im Radio übertragen?“ war meine Arbeitsaufgabe. Natürlich hatte die Stille einen ganz anderen Wert vor fünf Jahren, als Stille nicht synonym für Stillstand genutzt wurde. Die heutige Situation war ja eh unvorstellbar. Stille war eher die Ruhe, das Gefühl, dass sich in einer sinnigen Pause einstellt. Die Morgenroutine, in der alles funktioniert, ohne dass man sich groß Gedanken machen muss. Stille war ein Sehnsuchtsort, eine Insel im stürmischen Alltag, eine Autobahnkirche im Stau, eine Käseglocke im Verkehrslärm, eine rote Ampel zur richtigen Zeit. Nur wann ist denn mal die richtige Zeit? Man hat es doch immer eilig: „Dringlichkeit besteht immer.“ Auch in den eigenen vier Wänden.
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Ich habe meinen Beitrag damals nach einem Neubauten-Song benannt: „Silence is sexy“ klingt heute ganz anders, wer hätte das gedacht. Beinahe polemisch. Und trotzdem finde ich es nicht gerecht der Stille gegenüber, sie mit dem Stillstand gleichzusetzen. Das mag etwas spitzfindig sein, aber die Stille ermöglicht meines Erachtens nach die Überwindung des Stillstandes: sie lädt ein, sich auf sich zu besinnen und mit sich selbst über sich selbst nachzudenken, ganz ohne dauerhaftes Eingedresche von alles Seiten. Die Stille ermöglicht tiefe und lange Gespräche unter vier Augen, ohne das permanente angekumpelt werden aus anderen Ecken. Die Stille ermöglicht auch hochsympathisches Anschweigen. „Denn ich kann mit allen Menschen reden, aber nicht mit jedem schweigen.“ wie es der Blumentopf so schön sagte. Die Stille kann zur persönlichen Reifeprüfung werden (das klingt jetzt voll pathetisch, aber ich meine das ernst.) und lädt ein, über sich selbst zu nachzudenken und ermöglicht damit Entwicklung. Die Stille kann dazu einladen, sie zu überwinden: mit einem Pfeifen, einem Summen, oder meinetwegen gar im stillen persönlichen Gebet. Die Folge von Stille ist nie Stillstand. Nach der Stille kommt immer ein Ton: „In der Einsamkeit rauscht es nun so sacht.“
Warum schreib ich das alles? Will ich damit sagen, dass es schon nicht so schlimm ist mit der Kultur gerade? Gar dass, wie manche Kommentatoren sagen, Kultur nunmal nicht systemrelevant sei?
Nein, freilich nicht. Das mag zwar gelten für den 60-Jährigen Opernbesucher, der auch mal ein Jahr verzichten kann auf die Zauberflöte. Aber der 18-Jährige, der seit seiner Volljährigkeit keinen Club besuchen konnte, seinen Achtzehnten bestenfalls mit Freunden hemmungslos an der frischen Luft verbrachte und selbstverständlich keine rauschende Abi-Feier starten konnte – für diesen 18-Jährigen fehlt eventuell tatsächlich eine zentrale Säule seines gemeinschaftlichen Alltags. Ich will nicht mit ihm tauschen, das Jahr 2011 gefiel mir da besser, gerade weil es lauter war.
Und demnächst kommt dann ja noch die „Stille Nacht.“ Es könnte tatsächlich mal besonnene Tage geben – aber es wird schon irgendeine Jetzt erst recht-Kampagne geben, die das zu verhindern weiß. Und genau das ist das Gegenteil von Kunst und Kultur: den diese beiden warmen Schwestern verhindern nicht, sondern ermöglichen. Sie öffnen neue Ansichten, neue Wege der Betrachtung und der Erkenntnis, sie überraschen durch Unge- und Unerhörtes, sie führen uns auch mal aufs Glatteis und lassen uns ratlos zurück. Sie befähigen uns, uns mit der Ambivalenz der Stille unverzagt außeinander zusetzen. Hallelujah.
Ich selber habe übrigens im Oktober meine Anlage aufgewertet, „das ist Luxus, das ist Lebensqualität.“ Somit kann ich zuhause noch tiefer einsinken in die Klänge. Ob laut oder leise.

 

1 Comment

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  1. Danke dafür. Was für kluge, schöne Gedanken!

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